Sabine Fries, Hochschule Magdeburg-Stendal FH, November 2016, www.signteach.eu
Mehr als Sprachunterricht: Vermittlung der Lebenswelt Gehörloser
Wer jemals eine Fremdsprache gelernt hat, weiß, dass dazu mehr gehört als reiner Sprachunterricht. Neben Vokabeln und Grammatiklektionen gehört die Vermittlung von geographischen, historischen und kulturellen Hintergrundinformationen über das Land oder die Region, deren Sprache man lernt, zu den Inhalten des Lehrplans. Vergleichbares gilt auch für den DGS-Unterricht, der Einblick in die Gemeinschaft und Kultur Gehörloser geben sollte. DGS-Dozenten müssen darauf vorbereitet sein, neben dem Sprachunterricht auch die Werte und Normen des Lebens in der Gehörlosengemeinschaft in die Unterrichtsplanung einzubeziehen. Die Lernenden benötigen nicht nur pragmatisches Wissen über die Gehörlosenkultur, sondern sollen ein Bewusstsein dafür entwickeln, die Gehörlosengemeinschaft als eine eigenständige Gruppe zu betrachten, in der, bedingt durch die Gebärdensprache, bestimmte soziale Konventionen und kulturelle Normen gelten.
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Es gibt vielfältige Möglichkeiten, diese Kulturinformationen in den Sprachunterricht zu integrieren. Unserer Erfahrung nach ist die Vorgehensweise dabei meist eher narrativ und von individuellen Eindrücken geprägt. Eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür ist häufig schon gegeben, wenn der DGS-Lehrer selbst gehörlos ist und sich als ein aktives Mitglied der Gehörlosengemeinschaft versteht. Kulturelle Praktiken Gehörloser können am besten im Zusammenhang mit interaktiven Vorgängen vermittelt werden wie es mein Kollege Clark in seinem Podcast "Teaching Deaf Culture within a Sign Language Curriculum" zeigt. Dort finden Sie gute Beispiele, wie sie das Thema "Lebenswelt Gehörloser" in ihren Unterricht einbauen können. Ich verzichte deshalb an dieser Stelle darauf und konzentriere mich mehr auf einige kurze theoretische Anmerkungen:
- Hörende Lerner mit den Gegebenheiten der Gehörlosenwelt vertraut zu machen, ist eine Herausforderung für Gebärdensprachdozenten. Gehörlosenkultur besteht nicht aus einer Liste von festgelegten Regeln. Werte und Normen unserer Kultur erschließen sich oft unbewusst und werden unterschiedlich interpretiert. Als Unterrichtsgegenstand, in DGS vermittelt, eröffnet diese Thematik Zugänge zu interessanten Diskussionen, Fragestellungen, Einsichten und Antworten zwischen gehörlosen Dozenten und hörenden Schülern.
- Im Rahmen des kulturellen DGS-Unterrichts wird man nicht umhin kommen, den DGS-Lernern Zugangswege zur Gehörlosengemeinschaft aufzuzeigen. Ein Land der Gehörlosen, in das die Teilnehmer eines Gebärdensprachkurses einfach hingeschickt werden könnten, gibt es ja leider nicht.
- Oft gibt es die Erwartungen der Schüler, der Dozent möge persönlich für die Vermittlung sozialer Kontakte sorgen. Diese lässt sich sich häufig nicht erfüllen. Es bleibt die Aufgabe, Informationen über Treffpunkte und Ereignisse der örtlichen, regionalen und überregionalen Gehörlosengemeinschaft in den Unterricht einzubringen und die Schüler zur Kontaktaufnahme zu ermutigen.
- Um Gehörlosenkultur richtig zu verstehen und anzuwenden, ist es notwendig, dass DGS-Lerner auch außerhalb des Klassenzimmers in Kontakt mit gehörlosen Menschen treten. Als DGS-Dozenten sind wir Botschafter der Gehörlosengemeinschaft, repräsentieren aber doch längst nicht ihre ganze Vielfalt und Unterschiedlichkeit. Auch auf die Vielfalt unserer Lebenswelt hinzuweisen, verschiedene Formen gehörlos zu sein vorzustellen, gehört zu unseren Aufgaben.
- Im Medienzeitalter haben wir heute viele Möglichkeiten, aus der Fülle des Internetes frei zugängliche Materialien auszuwählen zu verschiedenen und aktuellen Themen, die die Gehörlosengemeinschaft bewegen. Auf diese Weise können wir ein wenig von unserer Lebenswelt draussen in die Klassenzimmer holen.